"Was wir auch lieben, es kann uns jederzeit genommen werden; allein der Verlust dessen, was wir lieben, gehört uns auf immer und ewig."
Dramatische Verluste, Gewalt gegen Frauen, psychische Ausnahmezustände sind Louise Doughtys Gebiet; in allen ihren Büchern, die ich kenne - bisher sind es drei - erzählt sie konsequent aus weiblicher Ich-Perspektive. So auch hier. Laura, geschieden, Mutter von zwei Kindern, verliert ihre neunjährige Tochter Betty durch einen Verkehrsunfall. Die lähmende Trauer bestimmt lange Zeit ihren Alltag. Ihr Exmann, in zweiter Ehe gerade erst wieder Vater geworden, ist ihr keine Hilfe; immerhin kümmert er sich um das zweite gemeinsame Kind, einen Jungen im Kindergartenalter. Laura berichtet - nicht unmittelbar-dramatisch, sondern aus einer etwas abgeklärten Position der Rückschau heraus - die Vorgeschichte des Unfalls; sie erzählt auch, wie sie David kennenlernte, wie Betty geboren wurde, wie die Ehe zerbrach. Diese ganze Schilderung nimmt etwa zwei Drittel des Romans ein. Erst danach verlässt Doughty die Ebene der "Rückschau in der Rückschau" und wendet sich dem äußeren Geschehen nach dem Unfall zu, und nun nimmt die Erzählung derart Fahrt auf, dass es einem schwindlig werden kann: Laura beschließt Kontakt zu dem Unfallverursacher aufzunehmen, einem zugewanderten Kossovaren (die englische Presse kennt anscheinend keine Bedenken, Namen und Fotos herauszugeben), sie erzwingt sogar einen Besuch des Unglücksfahrers in ihrem eigenen Heim, sie lässt ihn seine eigene Vorgeschichte berichten, die - ebenso wie ihre - von Verlust und Zerbrechen einer Familie handelt. Sie hat gute Gründe für ihre Fragen ...
Ich kann hier nicht fortsetzen, ohne zu spoilern. Nur soviel: der Fortgang der Handlung unterlief meine Erwartungen nicht nur einmal, sondern von diesem letzten Drittel ab immer wieder mit jeder neuen Wendung, und deren gibt es noch einige. Louise Doughty lässt ihre Leser - ich weiß nicht, ob dieser Effekt beabsichtigt war - immer wieder mit Wucht in die selbstgebaute Klischeefalle tappen: sie baut Situationen auf, die jederzeit ins Abgedroschene, Erwartbare münden könnten, und lässt dann das gänzlich Unerwartete, aber durchaus Konsequente geschehen. Unsere Ich-Erzählerin geht beschädigt aus dem Geschehen hervor, ebenso wie ihr Exmann und alle anderen, die beteiligt waren. Dass trotzdem auf den letzten Seiten ("Epilog" übertitelt) so etwas wie eine Genugtuung über einen erzielten Sieg durchklingt, ist ebenso konsequent und verständlich. Das Allerschlimmste ist geschehen. Danach kann man eigentlich nur noch gewinnen.
Ich würde gern fünf Punkte geben, wenn ich mich nicht auf den ersten zwei Dritteln streckenweise ein wenig gelangweilt hätte. Hier gibt es einige Längen, und das galoppierende Drama des letzten Drittels passt nicht so recht zu dieser Gemächlichkeit. Vielleicht würde ich bei einer Zweitlektüre anders denken (und auch besser aufpassen, welche Fäden die Autorin schon frühzeitig gelegt hat und von mir übersehen wurden ...). Leseempfehlung auf jeden Fall.
Geschickt gebautes Verlustdrama
"Was wir auch lieben, es kann uns jederzeit genommen werden; allein der Verlust dessen, was wir lieben, gehört uns auf immer und ewig."
Dramatische Verluste, Gewalt gegen Frauen, psychische Ausnahmezustände sind Louise Doughtys Gebiet; in allen ihren Büchern, die ich kenne - bisher sind es drei - erzählt sie konsequent aus weiblicher Ich-Perspektive. So auch hier. Laura, geschieden, Mutter von zwei Kindern, verliert ihre neunjährige Tochter Betty durch einen Verkehrsunfall. Die lähmende Trauer bestimmt lange Zeit ihren Alltag. Ihr Exmann, in zweiter Ehe gerade erst wieder Vater geworden, ist ihr keine Hilfe; immerhin kümmert er sich um das zweite gemeinsame Kind, einen Jungen im Kindergartenalter. Laura berichtet - nicht unmittelbar-dramatisch, sondern aus einer etwas abgeklärten Position der Rückschau heraus - die Vorgeschichte des Unfalls; sie erzählt auch, wie sie David kennenlernte, wie Betty geboren wurde, wie die Ehe zerbrach. Diese ganze Schilderung nimmt etwa zwei Drittel des Romans ein. Erst danach verlässt Doughty die Ebene der "Rückschau in der Rückschau" und wendet sich dem äußeren Geschehen nach dem Unfall zu, und nun nimmt die Erzählung derart Fahrt auf, dass es einem schwindlig werden kann: Laura beschließt Kontakt zu dem Unfallverursacher aufzunehmen, einem zugewanderten Kossovaren (die englische Presse kennt anscheinend keine Bedenken, Namen und Fotos herauszugeben), sie erzwingt sogar einen Besuch des Unglücksfahrers in ihrem eigenen Heim, sie lässt ihn seine eigene Vorgeschichte berichten, die - ebenso wie ihre - von Verlust und Zerbrechen einer Familie handelt. Sie hat gute Gründe für ihre Fragen ...
Ich kann hier nicht fortsetzen, ohne zu spoilern. Nur soviel: der Fortgang der Handlung unterlief meine Erwartungen nicht nur einmal, sondern von diesem letzten Drittel ab immer wieder mit jeder neuen Wendung, und deren gibt es noch einige. Louise Doughty lässt ihre Leser - ich weiß nicht, ob dieser Effekt beabsichtigt war - immer wieder mit Wucht in die selbstgebaute Klischeefalle tappen: sie baut Situationen auf, die jederzeit ins Abgedroschene, Erwartbare münden könnten, und lässt dann das gänzlich Unerwartete, aber durchaus Konsequente geschehen. Unsere Ich-Erzählerin geht beschädigt aus dem Geschehen hervor, ebenso wie ihr Exmann und alle anderen, die beteiligt waren. Dass trotzdem auf den letzten Seiten ("Epilog" übertitelt) so etwas wie eine Genugtuung über einen erzielten Sieg durchklingt, ist ebenso konsequent und verständlich. Das Allerschlimmste ist geschehen. Danach kann man eigentlich nur noch gewinnen.
Ich würde gern fünf Punkte geben, wenn ich mich nicht auf den ersten zwei Dritteln streckenweise ein wenig gelangweilt hätte. Hier gibt es einige Längen, und das galoppierende Drama des letzten Drittels passt nicht so recht zu dieser Gemächlichkeit. Vielleicht würde ich bei einer Zweitlektüre anders denken (und auch besser aufpassen, welche Fäden die Autorin schon frühzeitig gelegt hat und von mir übersehen wurden ...). Leseempfehlung auf jeden Fall.